DIE GIFTIGSTEN SÄTZE DER WELT

Folge 10: War doch alles ganz anders. Einen Grund gibt es immer.

Da möchte eine Ihnen nahestehende Person ein ernstes Gespräch mit Ihnen führen, weil Sie etwas nicht so gemacht haben, wie man es machen sollte: Sie haben die Wohnung mit Schlammschuhen durchquert, eine Delle ins Auto gefahren, beim Abendessen ein Stunde telefoniert oder Sie haben sich einfach am Donnerstag mal frei genommen und das Treffen mit der arabischen Delegation vergessen. Sie haben etwas gemacht, was man nicht macht. Keine Diskussion, kein Zweifel, kein Entkommen. Sie haben etwas FALSCH gemacht.

Sie könnten denken: Kann passieren! und Ihrem Partner glaubhaft versichern, dass Sie auch nur ein Mensch sind. Oder Ihren Chef an die neu eingeführte Fehlerkultur in der Firma erinnern, die ihm ja angeblich so wichtig ist.

Aber wenn die Person andere Person dann vor Ihnen sitzt hinter dem großen Schreibtisch und Ihnen die Welt erklärt, oder wenn Liebling Ihnen eine Standpauke hält und alles noch ein bisschen schlimmer macht, als es eigentlich ist, um Ihnen die Dramatik Ihres Fehlverhaltens vor Augen zu führen, dann, ja dann fällt ein Satz, den wir uns aufgrund seiner giftigen Inhaltsstoffe einmal ansehen sollten: Das habe ich doch nur gemacht, weil….

Wir verteidigen uns, wir rechtfertigen uns, wir legen auseinander, warum es so ist wie es ist und versuchen unser Verhalten zu erklären, oder wer es ganz neudeutsch macht, einzuordnen. Wir ahnen, dass das nichts bringt. Aber vielleicht wird der eigene Fehler nicht ganz so schlimm, wenn ich ihn ein wenig relativiere, z.B. durch höllische Kopfschmerzen einen kranken Kater oder einen Computerabsturz.

Auch Da konnte ich nichts machen oder Das ging nicht anders oder Dazu müssen Sie verstehen… sind alles Sätze, die keine Erklärungen sind, sondern Rechtfertigungen einleiten.

Wenn die Situation für uns noch belastender ist, gehen wir sogar noch einen Schritt weiter: Wir erfinden etwas. Das war der blöde Computer, der lästige Kollege, der Stau oder der Teufel von einem Wecker, der wieder nicht geklingelt hat.

Wenn ich das schreibe, schmunzeln Sie vielleicht, der andere schmunzelt auch. Aber wenn wir das erzählen, schmunzeln wir nicht. In der Situation meinen wir das ganz ernst. Wir sind ja unter Druck, wir müssen uns schnell was zusammenbauen. Dass der Tisch bedrohlich wackelt, den wir da zimmern, merken wir erst hinterher.

Und dann schämen wir uns. Wie konnten wir so einen Unsinn erzählen? Das merkt doch jeder, dass wir uns nur herausreden wollen. Oh, wie peinlich. Wir sind von uns selbst getroffen und betrachten erschrocken den Zacken, der uns da gerade aus der Krone gebrochen ist.

Wenn Sie so vorgehen, gehen die anderen vielleicht das nächste Mal vorsichtiger mit Ihnen um, wenn Sie einen Fehler gemacht haben. Aber wollen Sie das? Wollen Sie, dass die Kollegen oder Ihr Liebling sagt Pass auf, wie du es ihr oder ihm sagst, sie oder er ist sehr empfindlich? Wenn es ganz besonders blöd läuft, bekommen Sie gar keine Kritik mehr, kein Feedback, keine Hinweise, wenn etwas falsch läuft. Es ist den anderen schlicht zu anstrengend, sich Ihre endlosen Verteidigungsreden anzuhören. Die anderen lassen das irgendwann, weil Sie ihnen leidtun, wenn Sie sich so vehement rechtfertigen. Der Satz hat ihr Leben vergiftet.

Soll man denn gar nicht reagieren? Doch, indem man den andern fragt, ob das alles ist. Ich würde alles wissen wollen, was der andere mir über mich zu sagen hat. Ich möchte die Seite meiner Arbeit oder Persönlichkeit erhellen, die für mich selbst nicht zu sehen ist. Das hat dich schon häufiger geärgert, oder? und Gibt es sonst was, was ich besser machen könnte? sind Sätze, die den andern animieren noch einmal nachzudenken. Vielleicht kommt da ja noch was.

Unter Umständen müssen Sie nach dem Gespräch kurz auf einen Gummiball beißen oder erst mal einen Boxball bearbeiten. Solange Sie das alleine tun, ist dagegen nichts einzuwenden. Schließlich ärgert einen manche Kritik, noch dazu, wenn sie unberechtigt ist. Doch niemand zwingt Sie, sich nach dem zu richten, was der andere Ihnen vorschlägt.

Wenn der andere nicht Recht hat, dann können Sie ihm das sagen. Aber nicht sofort. Sonst hört er auf zu reden. Und wer etwas erfahren will, der sollte zuhören. Sie können am nächsten Tag immer noch alles erklären, wenn es etwas zu erklären gibt, eventuell nachdem die Welt wieder sonnig ist. Aber durch lange Verteidigungsreden, die den einzigen Zweck haben, Sie in einem besseren Licht dastehen zu lassen, wird die Welt nicht besser.