DIE GIFTIGSTEN SÄTZE DER WELT

Folge 9: Furchtbar, was da passiert! Warum ausgerechnet ich?

„Sie weiß ganz genau, dass ich es hasse, wenn die Toilettenpapierrolle so hängt, dass das nächste Blatt nicht griffbereit im Raume schwebt, sondern sich an die Wand des Badezimmers schmiegt. Ich habe es gesagt, mehrfach gesagt. Und sie macht es trotzdem. Um mich zu ärgern. Das muss ich Ihr jetzt sagen. Weißt du was? sage ich zu ihr bei der nächsten absolut unpassenden Gelegenheit: Du machst mich so wütend!

Ich könnte ein so schönes Leben haben, wenn sie nicht immer wieder etwas fände, was mich auf 180 bringt. Es ist zum Verrücktwerden. Meinem Lebensglück steht eigentlich nur eine Sache im Weg: Ihr unmögliches Verhalten. Ständig wird um mich herum Gift verspritzt. Aber sie ist ja nicht die einzige. Warum können die im Büro nicht ihre Kaffeetassen aufräumen? Das regt mich derart auf. Mein Computer macht mich fertig. Warum muss eigentlich immer einer zu spät kommen? Das macht mich wahnsinnig. Alle und alles haben sich verschworen, mich leiden zu sehen.“

Das Gift dieser Sätze wirkt nicht auf die Gesprächspartner und Kollegen, sondern man bringt sich sozusagen schrittweise selbst um. Wenn man so ein Leben führt, dann warten jede Menge Krankheiten, die dann den Rest erledigen.

Man sollte meinen, dass die Gefühle, die wir haben, durch Reize von außen gesteuert werden. Diese Vorstellung ist falsch. So einfach ist es nicht. Es ist kein Reiz von außen, der uns wütend macht. Sonst müsste das für jeden Menschen gleich sein. Nein, es gibt Menschen denen ist die Montage der Toilettenpapierrolle oder die Ansammlung von schmutzigen Tassen auf der Spülmaschine völlig egal. Glückliche Menschen! Die haben sich nämlich entschieden, dass Sie über solche Lappalien nicht wütend werden wollen. Wollen? Ist das so einfach? Ja, das ist ihnen nicht wichtig genug. Es ist ärgerlich, wenn der Computer abstürzt, aber sich deswegen den Tag versauen lassen?

Ich habe großes Verständnis für jeden, der ausrastet, wenn die S-Bahn zu spät kommt, Frau Klug die Unterlagen nicht liefert oder die Kinder schon wieder nicht den Tisch abräumen. Jeden bringt etwas anderes aus der Fassung. Aber es ist meine Entscheidung mich aufzuregen. SICH aufregen, das mit dem Aufregen müssen Sie schon selbst tun.

Das heißt, der Auslöser ist nicht die Kleinigkeit, sondern die Kleinigkeit ist sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. In vielen Fällen haben wir dann großes Verständnis, wenn der andere ausflippt. Man nennt diese Phase die Refraktärphase. Die kommt meistens unmittelbar nach dem negativen Reiz. Wir brüllen Schimpfwörter, wir donnern mit der Faust auf dem Tisch, wir fahren jemanden an. Wenn wir eine Zeit lang nachgedacht hätten, würden wir das nicht tun. Aber wir haben nicht nachgedacht.

Deswegen lautet meine Empfehlung beim nächsten Mal: „Weg von lebenden Menschen!“ Lassen Sie Ihre Wut raus! Aber allein in Ihrem Auto (auf dem Parkplatz), am einsamen Seeufer oder in einem Atomschutzbunker. Dann können Sie nach Herzenslust Ihren Frust über die Ungerechtigkeit der Welt rausschreien und stören niemanden. Aber bitte nicht vor anderen Menschen. Das haben die nicht verdient. Denn Ihr Ärger ist Ihr Ärger.

Soll man dem anderen denn gar nicht sagen, dass man sich so aufregt? Doch, das kann man tun. Aber erst nachdem man sich wieder beruhigt hat. Dann hat man auch die Chance, dass der oder die andere einem zuhört. Ich habe mich gestern sehr über Dich geärgert oder Ich war letzte Woche so wütend, das kann ich Dir gar nicht sagen.

Wenn man diese berühmte Nacht darüber geschlafen hat, ist das vielleicht gar nicht mehr nötig. Vielleicht erkennt man, nachdem Liebling den Nacken massiert hat und den besten Kaiserschmarren der Welt gezaubert hat, dass die richtige Positionierung des Toilettenpapiers nicht wichtig ist.

Niemand bringt sich am ersten Sonnentag nach einer Regenperiode um, niemand regt sich über einen Fleck auf der Tischdecke auf, wenn man eingeladen ist, und der Körpergeruch eines geliebten Menschen hat schon fast eine Duftnote. Unser Wohlbefinden hängt nicht davon ab, wie die Dinge sind, sondern wie wir sie empfinden.

Stellen Sie sich vor, dass das jedem klar wäre. Stellen Sie sich vor, jeder wüsste, dass er sich auch dafür entscheiden kann, sich nicht aufzuregen und die Dinge im ersten Schritt anzunehmen, wie sie sind. Über sich selbst dürfen Sie sich ärgern, auch über Ihre eigenen Fehler, aber andere mit Ihrer Aufregung über die Welt zu belästigen, macht die Welt nicht besser.