DIE GIFTIGSTEN SÄTZE DER WELT

Folge 8: Angriff durch die Hintertür - nur eine kleine Prise

Die Leistungen Ihres Kindes in der Schule sind nicht so, wie sie sein sollten. Das Kind bringt ein Schreiben der Klassenlehrerin mit nach Hause, indem Sie aufgefordert werden, in die Elternsprechstunde zu kommen. Und zu allem Überfluss ist Ihr Liebling der Meinung, dass diese Aufgabe jetzt von Ihnen allein erledigt werden sollte. Du bist mal dran!

Jetzt sind Sie vielleicht sauer, auf das Kind, den Partner, die Partnerin, auf die ganze Welt. Warum muss solche Sachen immer ich machen? Jetzt muss ich zu dieser gut ausgebildeten Lehrerin oder diesem mit allen Kommunikationstricks gewappneten Lehrer und muss mich wegen meines Kindes dumm anreden lassen. Was für eine blöde Situation.

Wir würden gerne das Gleichgewicht Lehrer/in/Elternteil zu Beginn des Gespräches wieder herstellen. Wir müssten nur etwas finden, was der Lehrkraft etwas ausmachen würde. Aber was?  Wir könnten z.B. bei einer Lehrerin, die in einer Klasse mit Kuschelecke und Topfpflanzen und Aquarium und jeder Menge Wachsmalbildern an den Wänden residiert, beiläufig vorwerfen: Sie geben sich einfach zu wenig Mühe! Oder bei einem Mathematiklehrer, dessen Klassenraum blinkt wie in einer Reklame für Flüssigreiniger, lasse ich die Bemerkung fallen, er nehme es nicht genau genug. Dem Lehrer mit den vielen Exkursionen und den spannenden Versuchen werfe ich mangelnde Kreativität vor. Die Lehrkraft regt sich jetzt hoffentlich so richtig auf, und die Waagschalen sind zu Beginn des Gespräches wieder im Gleichgewicht. Ziel erreicht. Jetzt kann das eigentliche Gespräch beginnen.

Um dieses Gleichgewicht herzustellen, sprechen wir nie das an, was der andere (angeblich) falsch gemacht hat, sondern was ihn am meisten aufregt. Das sind zwei verschiedene Dinge. Der Vorwurf, nicht besonders kreativ zu sein, wird einen Buchhalter nicht treffen. Er wird lächelnd zustimmen. Auch der Vorwurf nie zu Hause zu sein, trifft jemand, bei dem sich Geschäftsreise an Geschäftsreise reiht, überhaupt nicht. Aber einem Buchhalter vorzuwerfen, er nehme es nicht genau genug oder einer Mutter, die zweimal am Tag warm kocht, sie sei nie zu Hause, das entfaltet genau die giftige Wirkung, die der Sprecher beabsichtigt hat.

Wenn Sie bewusst nach einem schwachen Punkt beim anderen suchen und den als Hebel ansetzen, um ihn auf die Palme zu bringen, ist das nie gut gemeint. Das nächste Mal ist Ihr Gesprächspartner hoffentlich vorbereitet und der Trick funktioniert nicht mehr.

Seit Du Teamleiter bist, hast Du Dich so verändert oder Früher hast Du mich auch schon mal überrascht oder Was ist denn aus Deiner Spontaneität geworden? sind ähnliche Sätze, die nur den einen Sinn haben: Den anderen so richtig schön zum Kochen zu bringen.

Jetzt werden Sie vielleicht denken, dass es doch gar nicht so einfach ist, den persönlichen Punkt zu finden. Den Punkt, bei dessen Erwähnung der andere unter die Decke geht? Doch das ist so einfach. Unser roter Punkt ist mitten auf unserer Stirn, und bei den meisten leuchtet und blinkt er auch noch.

Die Art, wie unser Schreibtisch aussieht, welches Auto wir fahren und was wir in der Kantine bestellen sind natürlich allein keine Merkmale, an denen man sicher eine Schwachstelle feststellen kann. Aber nach fünf Minuten mit einem fremden Menschen, in denen der einiges von sich zeigt, aktiv oder passiv, bekommt man ein gutes Gefühl, was die Dinge sind, die er oder sie um jeden Preis vermeiden will.

Wenn Sie beim ersten Versuch falsch liegen, können Sie ja unendlich oft probieren. Solange bis die Augen Ihres Gegenüber schmaler werden, sich der Blick verfinstert und er tief einatmet. Jetzt wissen Sie, dass Sie gleich am Ziel sind.

Am Ziel? Sie gewinnen vielleicht die erste Halbzeit! Sie stellen für den Moment Gleichgewicht her. Aber das wichtigste Ziel, dass Sie erreichen, ist, dass Sie das Verhältnis zum anderen womöglich nachhaltig gestört haben. Ihr Gegenüber wird auf der Hut sein, aufpassen, sich beim geringsten Anzeichen von Manipulation wehren. Ich kenne so viele Menschen, die sich schon wehren, obwohl sie gar nicht angegriffen werden. Die sind vorher Ihnen begegnet.

Wenn Sie ganz besonderes Pech haben, dann ist der andere ein Kommunikationsprofi und wird mit einem Satz antworten wie Warum machst Du das jetzt? oder Warum sprichst du das an, wo Du doch genau weißt, wie empfindlich ich da bin? Jetzt geht der Punkt wahrscheinlich an die andere Seite und Sie sind in Erklärungsnot. Der Versuch, die Welt zu Ihren Gunsten zu manipulieren, ist misslungen. Ich drücke der Gegenseite die Daumen.