DIE GIFTIGSTEN SÄTZE DER WELT

Folge 7: Lob kann so gemein sein - Druck aufbauen für Fortgeschrittene

Nach einer Woche in Zügen, Flugzeugen oder Hotels endlich wieder zu Hause. Keine belegten Brötchen an zugigen Ständen am Bahnhof, nicht die Abteilung im Supermarkt mit den abgepackten Mittagessen und kein Energieriegel vom Konferenztisch. Liebling hat gekocht, köstlich gekocht. Es schmeckt wie Weihnachten und Ostern zusammen. Und da wir ja gelernt haben, dass man mal loben soll und da man ja so ein Festessen möglichst bald wieder haben will (auch zu Hause gibt es mal Dosenravioli) hört man sich plötzlich einen Satz sagen, der es mühelos auf die Liste der giftigste Sätze geschafft hat, ja wenn man eine Reihenfolge festlegen sollte, dann wahrscheinlich auf einer Spitzenposition landet: Der Salat ist heute besonders gut!

 

Der Satz ist deswegen so giftig, weil er  nicht die Dosis enthält, die einen  sofort umbringt. Dieser Satz enthält dieses schleichende Gift, das seine Wirkung erst nach und nach entfaltet. Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, worauf ich hinauswill. Das ist ein klassisches Lob. Und jeder Business-Coach erklärt uns unermüdlich, dass wir ja alle viel zu wenig loben. Was soll an diesem Satz falsch sein?

So ziemlich alles. Das hat er mit seinen Brüdern und Schwestern: Du siehst heute besonders toll aus oder Das ist jetzt mal richtig gut oder Das ist jetzt ausgesprochen gut gelungen oder überaus gut gelungen.

Bei einer Mathematikaufgabe gibt es richtig oder falsch. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten. Entweder die Aufgabe hat das richtige Ergebnis oder nicht. Eine Aufgabe kann nicht besonders gut gelöst sein oder richtig gut gelöst oder besser gelöst als gestern. Sie ist gelöst oder nicht.

Das gilt für viele andere Sachverhalte nicht. Natürlich kann ein Schweinebraten mal schlechter und mal besser schmecken. Auch eine Präsentation kann alles sein von okay bis großartig. Ist es da nicht fair, wenn man das auch sagt? Wenn man zum Ausdruck bringt, wenn einem etwas wirklich gefällt, und nicht nur,  wenn es nicht gefällt?

Da gibt es einen kleinen Unterschied. Was wird Ihr Partner zu Hause machen, wenn Sie ihm sagen, dass der Salat heute richtig gut war? Der freut sich. Schatzi hat gekocht und wird gelobt. Sehr gut. Und dann? Dann will er das Lob beim nächsten Mal wieder haben und überlegt, was denn den Salat beim letzten Mal so gut gemacht hat. Er grübelt, experimentiert… und setzt sich damit unter Druck. Das Lob, das gut gemeint war, empfindet der andere als Druckmittel. Er möchte den Salat ja gerne wieder so machen. Aber was hat er denn da nur gemacht?

Wenn er das neue Olivenöl verwendet hat, für einen Salat, den Sie schon hundert Mal gegessen haben, ist es einfach. Wenn Sie die Präsentation von einem Designer haben überarbeiten lassen, dann ist es einfach. Aber wenn nicht, wird es schwer.

Lob ist in vielen Fällen keine Hilfe, sondern ein Gift. Sie haben großartige Arbeit geleistet. Könnten Sie mir am Samstag auf der Messe aushelfen? Lob wird sehr oft benutzt, um damit etwas zu erreichen. Vielleicht war der Chicorée beim letzten Mal nicht klein genug geschnitten, und Sie wollen signalisieren, dass die Größe der Stücke jetzt richtig ist. Das können Sie sagen. Aber können Sie sich vorstellen, dass das ihren Partner ärgert, wenn Sie sagen, dass der Salat jetzt (endlich) richtig gut ist?

Die Konsequenz ist jetzt nicht, gar nicht mehr zu loben. Aber Sie wissen, ob Sie mit dem Lob Hintergedanken haben oder nicht. Wenn Sie Hintergedanken haben, spielen Sie mit offenen Karten oder trennen Sie eines vom anderen.

Was macht man jetzt mit dem Salat? Ihn stumm essen, auch wenn er göttlich schmeckt? Die Lösung ist wieder mal ganz einfach. Sagen Sie doch: Mir schmeckt es heute besonders gut! Sie wissen auch nicht so genau warum, aber es schmeckt einfach herrlich. Wenn die Chicoréestücke kleiner sind, schmeckt es Ihnen deutlich besser.  Sie genießen jeden einzelnen Bissen. 

Ihr Liebling wird sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, beim nächsten Mal etwas anders zu machen. Er oder sie wird strahlen, und das Lob wird guttun. Sie haben nicht behauptet, dass das Essen objektiv anders schmeckt, es gibt also keinen Grund, das Rezept zu ändern. Aber in Ihrer subjektiven Wahrnehmung ist das an diesem Tag in diesem Moment ein großartiges Essen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie es wiederbekommen, steigt, und die Welt ist ein kleines bisschen besser geworden.