DIE GIFTIGSTEN SÄTZE DER WELT

Folge 5: Zurückschlagen leicht gemacht - der Ärger muss doch raus...

 

Ich war frisch verliebt, und es war unsere erste Urlaubsreise. Sie wollte eigentlich nicht so gerne verreisen und Geld dafür hatte sie auch keines, aber ich hatte nicht nachgegeben und am Geld sollte es nicht scheitern. Es ging nach Italien. Hurra! Ich hatte gepackt, sie abgeholt, ihr in Ruhe Zeit gelassen, sich von jedem Kaffeelöffel zu verabschieden, war im Treppenhaus noch zweimal umgedreht und jetzt fuhren wir gerade durch die traumhafte Bergkulisse von Garmisch-Partenkirchen. Heute Abend würden wir in Verona in der Arena sitzen.
In diesem Moment, an der Ampel in Garmisch, fiel ihr ein, dass sie das Bügeleisen angelassen hatte. Das Bügeleisen! Eine Katstrophe. Die Wohnung brennt aus, das ganze Haus, der Computer mit der Doktorarbeit… wir kehrten um, fuhren eineinhalb Stunden zurück, um festzustellen, dass das Bügeleisen nicht einmal mit dem Strom verbunden war. Noch Wochen später wunderte sich Herzblatt, dass ich da nicht ausgerastet bin. Warum bin ich das nicht? Weil ich verliebt war. 
Wenn ein Gast beim Ausziehen des Mantels unsere Kristallvase von der Anrichte fegt, fangen wir auch nicht an zu schimpfen. Nein, Kein Problem! hören wir uns sagen oder Die hat mir eh nicht gefallen! oder Mach Dir nichts draus! Aber was sagen wir in einer längeren Beziehung, egal ob im Beruf oder im Privatleben? Was sagen wir, wenn die erste Verliebtheit weg ist?
Es ist doch immer dasselbe mit dir. Wichtig ist, dass ein Wort wie immer vorkommt, damit das Gift gut wirken kann. Immer schmeißt du den Wein um! Können wir nicht einmal in Ruhe Fernsehen? Mit Dir kann man nirgendwo hingehen. Sie waren noch kein einziges Mal pünktlich oder Ich kann Ihnen wohl gar nichts Recht machen.
Wir wissen, dass diese Absolutheit die Unwahrheit ist. Natürlich sind immer, kein einziges Mal, nirgendwo, nie, nichts oder auch nicht andeutungsweise meistens falsch. Aber wir benutzen diese Wörter ja auch nicht, um objektiv gegebene Fakten festzustellen, sondern weil wir uns geärgert haben, weil wir uns noch ärgern, weil wir plötzlich platzen könnten vor Wut. Diese Wut wird jetzt noch verstärkt, wenn der andere völlig entspannt vor uns steht und uns klar wird, dass derjenige, der da gerade völlig falsch reagiert, womöglich wir selbst sind.
Da wäre es doch jetzt richtig schön, wenn der andere sich auch aufregt, zumindest ein bisschen. Dann wäre das Gleichgewicht zu einem Teil wiederhergestellt. Wenn wir uns den Vorgang bewusst machen würden, könnten wir vielleicht noch etwas retten, aber da wir selbst wütend sind, bekommen wir diesen Tunnelblick und versuchen nur noch, die Situation einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen, indem wir den anderen wütend machen wollen.
Dazu suchen wir jetzt etwas, das der andere falsch gemacht hat und übertreiben das ein bisschen. Du bist heute schlecht drauf regt niemanden auf, der wirklich schlecht drauf ist. Aber In der letzten Zeit ist gar nichts mehr mit Dir los! oder Immer hast Du schlechte Laune wirkt da schon ganz anders. Der giftige Satz entfaltet seine Wirkung und sorgt dafür dass die gute Atmosphäre sich eine Zeit lang verabschiedet.
Stellen Sie sich vor, Sie fragen Ihren Liebling, ob etwas los sei, und der oder die brüllt: NEIN!!! Davon abgesehen, dass Liebling das Gegenteil von dem sagt, was er oder sie meint, dient dieses Brüllen nur als Verstärker, dass Sie sich nur ja hinsetzen und mit ihm oder ihr darüber reden. Ohne den gebrüllten Unterton besteht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Na, dann ist ja gut! sagen, und das sollen Sie ja auf gar keinen Fall. Dann müsste Liebling nämlich die nächste Stufe der Eskalation zünden, damit Sie wissen, dass doch was los ist.
Ein Gespräch ist kein Kampf, in dem es darum geht, einen Gegner zu besiegen. Machen Sie sich klar, dass Sie nichts gewinnen, wenn Sie jemand anderen wütend  machen, nur weil Sie selbst wütend sind. Mein Tipp ist, erst in ein Gespräch zu gehen, wenn Sie sich wieder beruhigt haben. Sie können darüber sprechen, wie wütend Sie waren, aber das sollten Sie nicht wütend tun. 
Wir waren übrigens rechtzeitig in Verona und haben danach noch ein paar sehr schöne Tage am Meer verbracht. Ich war den ganzen Urlaub stolz auf mich selbst, in der Kommunikation mal etwas richtig gemacht zu haben. Möglicherweise ist die Welt ein ganz kleines bisschen besser geworden.